VOM BUDDY ZUM BOSS: AB WANN MUSS MAN EIN CHEF SEIN?
Um den eigenen Status Quo in Sachen Führungskompetenz beurteilen zu können, sollte sich jeder Startupper gedanklich auf folgendes Wunsch-Szenario einlassen. Im Selbst-Check quasi. Der Mega Business Case ist aufgegangen, ein fetter Deal ist gemacht. Innerhalb eines Monats müssen 15 zusätzliche Mitarbeiter – beispielsweise für Produktion, Logistik und Serviceabwicklung – eingestellt werden. Es brummt. Schon im darauf folgenden Monat müssen zehn weitere Mitarbeiter her. Diesmal für Hotline, Buchhaltung und Außendienst. Das heißt: Von heute auf morgen stehen neben dem eigentlichen Business auf einmal auch Gehaltsabrechnungen, Verträge, Mietverträge, die Einrichtung neuer Arbeitsplätze, weitere Finanzierungen, Firmenwagen – und 100 weitere Dinge – im Vordergrund des Geschehens. Ist doch geil. Läuft! Das Team ist hochmotiviert, alle sind irgendwie emsig dabei – und die Stimmung ist ausgezeichnet. Doch wie wird das Unternehmen sich weiterentwickeln – so ganz ohne Führung? Wohin wird die stimmungsgeladene Eigen- und Gruppendynamik wohl führen, wenn jetzt niemand führt?
Wir verlassen das Wunsch-Szenario und greifen die Eingangsfrage auf: Ab wann braucht man die Lizenz zum Chef-sein? Der gedankliche Ausflug ins Wunsch-Szenario hat gezeigt, nicht erst ab dem berühmten Break Even, sondern bereits viel, viel früher. Was ist Chef-sein eigentlich? Führen wird insbesondere dann unterschätzt, wenn es vermeintlich niemanden zu führen gibt. Außer sich selbst. Durch den Tag, vorbei an Hindernissen und Versuchungen. Erfolgreiche Unternehmer benötigen nicht nur Ideen und Visionen, sie brauchen auch schlichtweg die Fähigkeit, sich selbst durch die Unwägbarkeiten des Geschäftslebens zu führen. Kommt Erfolg, kommen Mitarbeiter, kommt noch mehr Erfolg? Fest steht: Nur ganz wenige Geschäftsideen lassen sich zu 100 Prozent allein realisieren. Das bedeutet nahezu zwangsläufig Founder goes Chef. Aber Achtung – ob das Business auch weiterhin gut funktioniert, hängt maßgeblich von bestimmten Skills ab, die jeder Gründer beherrschen sollte. Um Missverständnissen vorzubeugen: Mitarbeiter zu führen und sich gut zu verstehen, schließt sich nicht aus. Allerdings hat sich gut zu verstehen und über alles sprechen zu können, für sich genommen, noch nichts mit Führungskompetenz zu tun.
Führung heißt Vorbild sein, Verantwortung übernehmen, Vertrauen schaffen. So mancher wird nun sagen „Na ja, eines dieser drei „V“s hab ich sowieso im Griff. Meine Buddies und ich – wir vertrauen uns voll – bei Pizza’n Beer…“ Gutes Führen geht weiter. Chef-sein bedeutet, die Ziele, Rahmenbedingungen sowie die Organisation einer oder mehrerer Mitarbeiter zu bedenken – und entsprechend zu handeln. Mitarbeiter sind nämlich weder Co-Unternehmer, noch „Ab“-Arbeiter – sondern Mitarbeiter. Diese Person trägt also weder das unternehmerische Risiko, noch ist der Arbeitsvertrag lebenslänglich angelegt. Laufen die Dinge blöd, ist der erste Mitarbeiter viel schneller verschwunden, als man ihn gefunden und für sich gewonnen hat. Oft unterschätzt: Mitarbeiter haben ein Recht auf einen geregelten Arbeitsablauf, Ziele zur Orientierung, Feedback zur Arbeitsleistung und Persönlichkeitsentwicklung. Und diesen berechtigten Anforderungen kann man nur mit erlernbaren Führungskompetenzen und Methoden begegnen.
Bunte oder homogene Teams? Die Frage, ob man Mitarbeiter am besten nach eigenen persönlichen Vorlieben oder nach fachlichen Qualitäten auswählt, wird gerade von Gründern oft gestellt. Auch hierzu liegt die Antwort letztendlich in den Führungsskills des Unternehmers. Die Gestaltung der Zusammenarbeit wird ganz wesentlich vom Vorgesetzten beeinflusst. Der Vorteil bei „bunten“ Teams liegt darin, dass unterschiedliche Kompetenzen und Sichtweisen zusammenfließen. Nachteil: Das führt nur zu guten Ergebnissen, wenn zielführende (Führungs)-Methoden zum Einsatz kommen. Praxisbeispiel: Ein buntes Team aus drei Servicemitarbeitern soll sich um Kundenbestellungen kümmern. Ein Mitarbeiter kommt aus der Versicherungsbranche und ist es gewohnt, Kunden intensiv zu beraten. Der zweite Mitarbeiter war im Call-Center eines Versandhauses und ist knappe Gespräche gewohnt, in denen er den Kunden gerne weitere Produkte verkauft. Der dritte im Team hat im Premiumsegment einer amerikanischen Kreditkartengesellschaft gearbeitet und ist es gewohnt, den Kunden auf hochwertigem Papier individuelle Einzellösungen anzubieten. Selbstverständlich können sich alle drei schnell drauf einigen, was zu tun ist: Kundenbestellungen bearbeiten. Doch gerade am Wie droht es zu scheitern. Lösung: Klare Strategie des Unternehmers mit eindeutigen Vorgaben.
Übrigens, Chef-sein heißt auch: Ständig unter Beobachtung stehen. Die Vorbildfunktion hat keinen On-/Off-Schalter. Die Lampe brennt. Gerade deshalb macht es absolut Sinn, sich das Leben als Gründer von Anfang an etwas leichter zu machen. Bestimmte methodische Kompetenzen und eine gute Portion Selbstreflexion sind dabei mehr als hilfreich. Schließlich hat man auch alles andere, was man gut kann, irgendwann mal gelernt. Und zwar in aller Regel nicht von allein. Ziele wirklich sinnvoll zu definieren, Aufgaben tatsächlich effizient zu vergeben, Konflikte möglichst fair zu lösen, Mitarbeitergespräche wirklich professionell führen zu können und Feedback und Motivation authentisch zu vermitteln – all das wird durch dauerhaften Erfolg belohnt werden. Vorausgesetzt, man hat die Lizenz zum Chef-sein.