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Der Kaukasus - Seine Völker und Geschichte

15.04.2016

Der Kaukasus prägt als Hochgebirgslandschaft die Lebensbedingungen seiner Bewohner. Wirtschaft und Verkehrswege und auch die Verwaltungsstruktur sind von dieser Landschaftsform geprägt. So entstand eine Vielfalt ökologisch-ökonomischer Kleinareale , die ihre Bewohner zur Anpassung und zur Isolierung in kleinen, auf sich selbst angewiesenen Einheiten zwangen. Diese Einheiten widersetzten sich meist jeglicher staatlicher Einordnung, von der sie nur Unterdrückung und Beschränkung der eigenen Lebensform zu erwarten hatten und haben. Zur Zeit erlebt der Kaukasus seine dritte Unterordnung unter Rußland. Das Grundproblem in Gebieten wie diesem besteht in der Stabilität der Stammes- oder Clanstrukturen, die seit Jahrtausenden das Überleben des Einzelnen sichern. Man lebt und empfindet dort ganz anders als beispielsweise in Deutschland.

Die Völker

Kaukasien ist das ethnisch und sprachlich bunteste Gebiet Europas. Im zentralen Raum zwischen Großem und Kleinem Kaukasus und südwestlich davon haben sich Völker der georgisch-mingrelischen Sprachgruppe behaupten können. Zu ihnen zählen die Georgier, Mingrelier, Lazen und Swanen. Sie sprechen eigene Sprachen und haben unterschiedliche Kulturtraditionen bewahrt. Südlich davon leben die Armenier, die auf Grund langer Eigenstaatlichkeit und kirchlicher Autonomie recht homogen sind und eine isolierte indogermanische Sprache sprechen. Östlich von ihnen wohnen die Azeri, ein Zweig der turkmenischen Stämme. Zwischen beiden Völkern siedeln kurdische und assyrische Gruppen. In den südöstlichen Bergen haben die Taten, die Bergjuden, eine iranische Sprache bewahrt. Daghestans Bevölkerung umfaßt turksprachige Gruppen, Iraner und mehrere Stämme altkaukasischer Sprachen.

Im nordöstlichen Vorland siedeln die mongolischen Kalmücken. Ihre Nachbarn nach Westen hin sind die altkaukasischen Tschetschenen, Inguschen und Reste der Tscherkessen, deren Gebiete sich bis zum Schwarzen Meer erstrecken. Zwischen sie geschoben haben sich u. a. die türkischen Karatschaier und die Osseten, die eine nordiranische Sprache sprechen. Die Abchasen bedienen sich eines Idioms, das dem Nordkaukasischen nahesteht, jedoch kein Georgisch ist. Eine Aufzählung aller Gruppen würde mehrere Seiten füllen.

Die Eroberer

Die diesen Gruppen zur Verfügung stehenden Acker- und Weideflächen waren stets umkämpft und vor allem in den Bergen eng begrenzt. Nur in den Flußtälern und dem nördlichen und südlichen Vorland gibt es weite fruchtbare Ebenen, die stets Fremde angelockt haben. So stand der Südosten bis nach Georgien hin bis ins 18. Jahrhundert zumeist unter persischer Herrschaft, der Westen und Nordwesten zeitweise unter osmanischen Gouverneuren. Beide orientalischen Mächte wurden im 18. und 19. Jahrhundert von den Russen verdrängt, zum Teil mit Hilfe der dortigen christlichen Völker, der Georgier und Armenier. Die muslimischen Volksgruppen leisteten erbitterten Widerstand, den vor allem die noch wenig sozial differenzierten Stämme ohne größere Adelsschicht trugen, z. B. die Tschetschenen.

Die Russen rissen in erster Linie die fruchtbaren Täler Nordkaukasiens an sich, die Weizenböden am Terek und Manytsch. Sie vertrieben die Einwohner entweder in die Berge oder ins türkische Exil, wie es großen Teilen der Tscherkessen erging. Teile des Stammesadels traten in die russische Armee ein. So bestand die Leibgarde des letzten Zaren vorwiegend aus Kabardinern. Georgier und Armenier zogen schon früh nach Moskau und Petersburg. Viele von ihnen paßten sich dort vollkommen der russischen Lebensart an. Kaukasien wurde in der Regel von Militärs regiert. Deren Macht beschränkte sich auf die größeren Siedlungen und die Transitstrassen. An der sozialen Struktur änderten sie nichts. In Städten wie Tbilissi (Tiflis) und Jerewan (Eriwan), den Hauptstaedten Georgiens und Armeniens, entstanden bürgerliche Strukturen. Ihre Studenten gingen nach Rußland, Deutschland und Westeuropa und brachten bei ihrer Rückkehr Kunde über die Entwicklung im "Westen" mit. Wenig beüehrt von derartigen Veränderungen blieben die Bergregionen. Beim Zusammenbruch des Zarenreiches schufen sich die drei größeren Gruppen, die Armenier, Georgier und Azeri, eigene Republiken. Im Krieg mit den Türken 1918-1920 standen die Azeri, ein Turkvolk, auf Seiten der Türkei, die Überlebenden der türkischen Massaker an den Armeniern auf der Gegenseite.

Bürgerkrieg

Die Nordkaukasier gerieten in den Strudel des Bürgerkrieges (1918-1921). Die "Weißen Generäle" stützten sich auf die im 19. Jahrhundert auf erobertem Boden angesiedelten Kosaken. Deshalb unterstützten die Tschetschenen und Inguschen sowie Teile der Osseten und anderer Völker die Gegenseite, die Rote Armee, die ihnen die Gleichberechtigung aller Völker, Gerechtigkeit und Freiheit versprach. Sie akzeptierten die Bildung einer Republik der Bergvölker und schlossen die Föderative Republik der Georgier, Azeris und Armenier der am 30. 12. 1922 gegründeten UdSSR mit militärischer Gewalt an. Dabei wurden die "roten" Truppen besonders von den unter massivem Druck der Türken stehenden Armeniern begrüßt. Die Bergrepublik wurde aufgelöst. 

Die drei Republiken im Süden Geoergien, Azerbaydschan und Armenien, wurden Unionsrepubliken, in denen vor allem unter Stalin blutiger Terror herrschte. Rund die Hälfte der armenischen Intelligenz und etwa 30 Prozent der georgischen Elite wurden erschossen oder verschwanden in Lagern. Die langsam in Gang kommende Industrialisierung und städtische Entwicklung kam allerdings in erster Linie den gleichen Gebieten zugute, so daß z. B. Jerewan 1988 eines der entwickelsten Zentren der sowjetischen Wissenschaft und Technik war. Die Bergregionen blieben zurück und wurden vom Kampf gegen die islamischen Überzeugungen getroffen. Die christlichen Kirchen hatten seit dem 2. Weltkrieg ihren Frieden mit der Sowjetmacht geschlossen und erholten sich langsam von den Schlägen der dreißiger Jahre.

Der 2. Weltkrieg und die Stalinzeit

Die Sowjetregierung versuchte in den zwanziger Jahren der komplizierten Situation durch die Bildung autonomer Regionen einzelner Völker des Nordkaukasus Herr zu werden. In Dagestan griff sie zum Mittel einer Verfassung, in der die Besetzung der Regierungsfunktionen nach nationalem Proporz vorgesehen war. Im Nord- und Ostkaukasus kam es dennoch zu Unruhen, denn da die wirtscchaftliche Lage mangels nennenswerter Industriebasen oder Bodenschtze schlecht blieb, war die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung sehr groß. Als dann die deutschen Truppen 1942 bis in den Nordkaukasus vorstießen, hofften manche nationalistischen Gruppierungen auf ihre Hilfe gegen die Sowjetmacht. Sie galten dem Hitlerregime jedoch als unzuverlässig: Der SD, das Reichssicherheitshauptamt, behielt stets die Verwaltung und das Kommando über die Freiwilligen selbst in der Hand.

Als die Hitlertruppen nach dem Gegenangriff der Roten Armee den Nordkaukasus fluchtartig räumten, blieben so manche Kollaborateure zurück. Sie gehörten vor allem den Kadscharen, Tschetschenen, Inguschen und Balkaren an. Diese Völker wurden seitdem von Stalin insgesamt als Verräter betrachtet. 1944 ordnete er die kollektive Deportation aller vier Nationen an. Sie wurden über Zentralasien verstreut, sollten dort schrittweise assimiliert werden und als Völker verschwinden. Ihre Länder wurden aufgeteilt und zumeist von Russen besetzt. Bei dieser mit grausamer Härte durchgeführten Aktion kam mindestens ein Viertel aller betroffenen Menschen ums Leben. Neue Grenzen wurden gezogen und damit neue Konflikte vorbereitet. Vereinzelte Gruppen der zur Deportation Verurteilten entkamen in die Berge und führten dort bis in die Zeit Chrustschows einen Kleinkrieg gegen die Russen und die anderen verbliebenen Völker.

Zaghafte Rehabilitierung unter Chrustschow

Als Chrustschow in seiner zögerlichen Aufgabe der Politik Stalins ab 1956 die Verbannungsbefehle aufhob, konnten die Vertriebenen zurückkehren. Ihre Häuser und Felder aber waren besetzt, und sie mußten sich darein fügen, sie nicht zurückzubekommen. Die neuformierten autonomen Republiken blieben ethnisch stark gemischt, wobei die Russen überall deutlich vorherrschten. Die Zurückgekehrten hatten den Überlebenskampf gelernt. Die junge Generation nutzte die vorhandenen Schulen, durchlief den Militärdienst.Viele von ihnen blieben in der Armee. Einige, darunter die Tschetschenen Maschadov und Dudaev, stiegen bis in den Generalsrang auf. Zehntausende blieben in den russischen Städten, da sie zu Hause weder Haus noch Land hatten. Die Clanstruktur der Tschetschenen und Inguschen bot auch in der Verbannung dem Einzelnen die einzige Hilfe und Geborgenheit. Daher kann ihr Hervortreten in der Gegenwart nicht verwundern.

Die Chancen der Unabhängigkeit sind ungleich verteilt

Der Zerfall der UdSSR gab den Unionsrepubliken die Unabhängigkeit. Die Russen aber gehen seither davon aus, daß sie ihr Kolonialreich im Kaukasus behalten können, faktisch nämlich war der Kaukasus nie ein selbstbestimmtes Gebiet freier Völker. Doch der Vernichtungskrieg Jelzins gegen Tschetschenien hat gezeigt, daß modern ausgerüstete Armeen zwar Zehntausende Menschen morden und das angegriffene Land verwüsten, nicht aber zu Frieden und Demokratie führen können. Doch Tschetschenien ist nur ein Teil des Problems, dessen Lösung noch im Dunkeln liegt - die Schaffung einer menschlichen Chance für alle Völker Kaukasiens.

Die ökonomischen Voraussetzungen sind dabei ungleich. Die Oberschicht der Azeri träumt von einem Ölgeschäft, das ihnen Milliarden Dollar und ein Wohlleben wie den Scheichs am Golf bringen soll. Den Armeniern fehlt jede Energiebasis und auch der bescheidenste Seehafen. Die Georgier hoffen auf Gebühren aus dem Erdöltransit - und die Ost- und Nordkaukasier? Durch ihre Gebiete laufen die Pipelines von Baku nach Tuapse -über Grozny, das nicht zuletzt deshalb so grausam zerstört wurde, weil seine tschetschenischen Herren nach einem Anteil an diesem Geschäft riefen. Das Erdöl des Kaspibeckens und Zentralasiens droht mit seinen schmierigen Dollars die Kaukasier zu ersticken. Denn die Großmächte wollen nicht mit ihnen teilen.